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Betriebsrat im Daimler-Werk Sindelfingen akzeptiert Fremdvergabe und Arbeitsverdichtung – Kürzungen auch an anderen Standorten in Vorbereitung

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Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 04.08.2014

Die Betriebsratsspitze im Daimler-Werk Sindelfingen versuchte es in ihrer Zeitung Brisant mit einer seltsamen Anspielung auf die Fußballweltmeisterschaft: Jahrelang habe die deutsche Nationalmannschaft Enttäuschungen erlebt, doch in Brasilien habe sich die Anstrengung in Form des WM-Titels ausgezahlt. »So ähnlich stellt sich die Situation in Sindelfingen dar. Seit der Entscheidung 2009, die C-Klasse aus Sindelfingen abzuziehen, waren die Befürchtungen in der Belegschaft groß, daß unserem Standort seine Spitzenposition aberkannt werden könnte«, schreiben Betriebsratschef Ergün Lümali und sein Stellvertreter Helmut Roth in einer soeben erschienenen Extraausgabe des Blattes. Mit der vergangene Woche unterzeichneten Standortvereinbarung habe man nun die »Spitzenposition« der weltweit größten Daimler-Fabrik gesichert.Für Jubelfeiern auf der Sindelfinger Fanmeile besteht allerdings kein Anlaß. Im Gegenteil: Mit der Vereinbarung »Zukunftsbild Sindelfingen 2020+« setzt die Betriebsratsspitze ihre langjährige Politik, Investitionen mit materiellen Zugeständnissen zu erkaufen, fort. Entsprechend erfreut zeigte sich Dieter Zetsche. »Die Betriebsvereinbarung verknüpft zukunftssichernde Investitionen mit ebenso notwendigen Kostenoptimierungen«, erklärte der Daimler-Boß in einer Mitteilung. Dadurch werde Sindelfingen »fit für den globalen Wettbewerb«.

Das geschieht unter anderem durch die Verringerung der Fertigungstiefe. In einer durch die Verlagerung der C-Klasse freigewordenen Halle entsteht auf dem Werksgelände ein Logistikzentrum, das vollständig von externen Firmen betrieben wird. Die dort bisher von Daimler-Beschäftigten betriebenen Arbeitsbereiche Montagelogistik und Vormontage werden fremdvergeben, ebenso Teile der Fertigung. Den unmittelbar Betroffenen soll ein anderer »angemessener Arbeitsplatz« bei Daimler angeboten werden. Direkte Bandanlieferungen durch Werkvertragsbeschäftigte habe man aber verhindern können, verkündete der Betriebsrat. Allerdings sollen in diesem Bereich 100 Leiharbeiter zum Einsatz kommen. Im Gegenzug sollen 100 befristet Beschäftigte – allesamt ehemalige Leiharbeiter – unbefristete Verträge erhalten.

Ein weiteres Zugeständnis der Belegschaftsvertreter ist die Erhöhung der Leistungsvorgaben um durchschnittlich etwa drei Prozent. Die mit einem Streik 1973 durchgesetzte »Steinkühler-Pause« für Montagearbeiter wird um acht Minuten pro Schicht verkürzt. Zudem habe man »gemeinsam Konzepte entwickelt, die sowohl für die Beschäftigten als auch für das Unternehmen mehr Flexibilität bedeuten«, erklärte Betriebsratschef Lümali in einer Pressemitteilung. Reguläre Samstagsarbeit habe die Belegschaftsvertretung aber verhindert.

Die Realität ist freilich, daß sich infolge der Vereinbarung vor allem die Verfügungsgewalt des Unternehmens über die Arbeitszeiten der Beschäftigten erhöht. So wird zuviel und zuwenig geleistete Arbeitszeit künftig je zur Hälfte auf ein »individuelles Konto« und ein »kollektives Konto« gebucht. Über letzteres kann das Unternehmen frei verfügen. Die Streichung und Anordnung von Schichten muß nun nicht mehr acht, sondern nur noch vier Wochen vorher angekündigt werden. Älteren Vereinbarungen zufolge kann das Management in Sindelfingen pro Jahr bis zu sieben Schichten absagen. Innerhalb von zwei Jahren kann es einseitig bis zu 15 Zusatzschichten verordnen. Die Möglichkeiten des Unternehmens, kurzfristig auf Marktschwankungen zu reagieren, werden künftig außerdem durch variable Schichtlängen erhöht. Im Preßwerk können zudem bei Bedarf Pausen durchgefahren werden.

Auf der Habenseite des Betriebsrats stehen Investitionen am Standort von insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro bis 2020. »Wenn man so will, wird auf dem Werksgelände nach und nach quasi eine neue Fabrik entstehen«, heißt es in der Zeitung des Betriebsrats. Zudem soll in Zukunft ein bislang dort nicht produziertes Fahrzeug vom Band rollen. Unklar ist allerdings, um welches Modell es sich handelt und welche Stückzahlen produziert werden sollen. Aktuell werden in Sindelfingen – das mit über 22000 Beschäftigten der größte Daimler-Standort ist – S-Klasse-Limousinen, das S-Klasse-Coupé sowie E-Klasse- und CLS-Modelle von Mercedes gebaut. Die nun beschlossenen Maßnahmen sollen insgesamt Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe bringen.

Für einen »ungedeckten Wechsel auf die Zukunft« hält die IG-Metall-Vertrauensfrau Anke Jaekh die Vereinbarung. »Es gibt keine echte Sicherheit über die Zahl und Qualität der Arbeitsplätze, die damit garantiert werden«, sagte sie auf jW-Nachfrage. Die Ausweitung der Fremdvergabe und die Intensivierung der Arbeit widersprächen grundlegenden gewerkschaftlichen Positionen.

Doch Sindelfingen ist nicht das einzige Werk, in dem die Daimler-Spitze den Rotstift ansetzt. Auch in Gaggenau, Mannheim, Wörth und Kassel soll die Rationalisierung forciert werden. Im nordhessischen Kassel sieht der Betriebsrat langfristig 800 Jobs bedroht, die Werkleitung spricht von 540 Stellen. In Mannheim stehen bis 2021 nach Angaben des Betriebsrats bis zu 900 der 5150 Arbeitsplätze zur Disposition. Im Lkw-Werk Wörth werden ebenfalls Fremdvergaben geprüft, die 800 der 12400 Jobs kosten könnten.

In Gaggenau, wo Achsen und Getriebe gefertigt werden, gibt es laut einem Bericht der Stuttgarter Zeitung zwischen Management und Betriebsrat bereits eine grundsätzliche Einigung. Demnach will das Unternehmen in den kommenden sieben Jahren 800 Millionen Euro am Standort investieren. Im Gegenzug hat die Belegschaftsvertretung eine Verringerung der Fertigungstiefe akzeptiert, die 2000 der rund 6900 Stellen im Werk kosten wird.

Im Bereich der Verwaltung und im Verkauf gibt es ebenfalls Auslagerungen. Die Niederlassungen werden umstrukturiert, ein Teil der konzerneigenen Autohäuser und Werkstätten wird verkauft. Das Ziel auch hier: die Steigerung der Rendite.

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